Travel Reference
In-Depth Information
Die Räder scheinen sich jedenfalls überlegt zu haben, doch noch durchzuhalten. Immer-
hin: Wir haben noch genau einen Flicken, obwohl ich schon seit geraumer Zeit mit einem
Loch in jedem meiner Reifen fahre (gestern früh war plötzlich auch im Hinterrad keine Luft
mehr). Morgen wird es wohl das letzte Mal sein, dass ich pumpen muss.
7.
The coldest winter I ever spent was a summer in San Francisco.
Mark Twain
Tag X. In der Nacht hat Dirks Mischlingswelpe wie verrückt geplärrt (zum Erwürgen!).
In der Früh lernen wir dann auch Dirk selbst kennen. Bis zur Brücke sind es höchstens 15
Meilen, erzählt er uns. Tatsächlich werden es nur noch elf sein.
Als wir unsere Räder vor die Haustür schieben, ist es saukalt. Ein Tag, um im Bett zu
bleiben. Wozu sind wir hier überhaupt hergekommen? So schön warm hatten wir es unter-
wegs (zum Beispiel in der Wüste von Oregon). Der Nebel hängt noch immer dicht über der
Straße; auf Mt. Tamalpais sieht es aus wie in einem türkischen Bad, nur ist es leider nicht
so warm. Trotzdem versuchen wir, die Abfahrt ins Tal so schnell wie möglich hinter uns zu
bringen, schon deshalb, weil wir nicht hinterrücks von allzu vielen Autos überfahren wer-
den wollen. Die Räder scheppern und knarzen wie nie zuvor. Werden sie wirklich bis zur
Brücke halten?
Nachdem Stefans hintere Felge tatsächlich langsam auseinander reißt, mach ich mir ein
bisschen Sorgen, dass er irgendwann ungebremst und laut schreiend an mir vorbeischießt.
Wir erreichen Mill Valley, wo wir in Form von Bagels mit Cream Cheese ein letztes Gal-
genfrühstück zu uns nehmen. Danach geht's auf einem holprigen Radweg entlang der viel
befahrenen Einzugsstraße durch salzig-matschiges Sumpfland in Richtung Golden Gate. In
dicken Schwaden zieht auf einmal intensiver Meergeruch über die Straße.
Können die denn keinen ordentlichen Radweg hier hinbauen? Was, wenn mein Rad
auf den letzten Metern doch noch eingeht?!
Noch sind wir nicht da. Der letzte Hügel, eine letzte Steigung. Auf dem Gegenhang sieht
man die vierspurige 101. Und da - da versteckt sie sich hinter einem Berg. Wie ein alber-
nes Monster lugt sie aus dem Nebel hervor. Godzilla - nein, die Golden Gate Bridge.
Endlich! Im Nebel die ersten blassen Pfeiler unseres lang ersehnten Ziels. Ein Bild, das
mir jedes Mal leuchtend orange durch den Kopf gegangen ist, wenn ich mich auf einer
besonders langen Steigung in den Lenker gekrallt, im strömenden Regen gegen den Wind
oder einfach gegen meine eigenen Zweifel oder meine Ungeduld gestemmt habe.
Erleichtert fallen wir einander in die Arme. Aber so richtige Champion-Stimmung will
nicht aufkommen. - Vielleicht fehlt ja nur die passende Musik. Alles läuft viel profaner ab,
als ich es mir gewünscht hatte: kein Mautticket, weil Radfahrer gratis fahren dürfen (sonst
drei Dollar). Eine Horde Mexikaner, die auf dem Plateauparkplatz vor der Bucht lautstark
Search WWH ::




Custom Search