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Wir ziehen durch, hinunter nach Shingletown. Und weiter. Schließlich finden wir sogar
die Black Butte Road, eine wenig befahrene Verbindungsstraße, die uns ein Einheimischer
empfohlen hat.
Schön ist's hier. Rauf und runter über eine Unzahl malerischer Hügel und Täler. Das er-
innert irgendwie an die Weinberge von Nussdorf bei Wien.
Die Black Butte Road liefert endlich jenen Panoramablick ins weite Sacramento Valley,
den ich mir eigentlich für unseren feierlichen Einzug nach Kalifornien vorgestellt hatte. Im
westlichen Dunst ist bereits die letzte Bergkette zu erkennen, die uns noch den Blick auf
den Ozean versperrt. Wir aber werden uns in der Ebene nach Süden wenden, den Flusslauf
des Sacramento River entlang.
Als wir die Hügellandschaft überquert haben, geht's nur noch bergab. Die Straße ist län-
ger und der Weg weiter, als wir dachten. Schmale Serpentinen führen einen steilen Hang
hinunter und eröffnen erneut eine phantastische Aussicht auf das Tal. Und schließlich end-
lose Reihen von Walnussbäumen. Jetzt sind wir wirklich in Kalifornien! Das hat nun end-
lich auch die Vegetation kapiert.
An einer Kreuzung eine Stunde vor Red Bluff erweckt eine urige Bar unsere Aufmerk-
samkeit: ungeschälte Fichtenholzbalken an der Straßenfront. Altes, rostiges Bauerngerät
im Graben und auf dem ungepflegten Rasen neben dem Haus. Neonflackernde Bierwer-
bung hinter schmutzigen Auslagenscheiben: Wir bekommen Lust, hier zu bleiben und am
Abend die Bar auch von innen auf uns wirken zu lassen. Da uns allerdings unser künftiger
Schlafplatz nach Begutachtung der vier bis fünf umliegenden Häuser nicht sofort ins Auge
springt, besuchen wir die Bar lieber gleich. Es ist sowieso schon Abend. Und dieses Lokal
haben wir uns nach 148 Kilometern Radfahren wirklich verdient.
Die Bar erweist sich als urgemütlich - etwas für echte Barflies: schummriges Licht, zwei
Barkeeper, drei Stammgäste - natürlich alles alte Freunde. Wir mischen uns unauffällig
unters Volk. Und werden prompt als verrückte Exoten akzeptiert. Eine Hand voll hand-
signierter Ein-Dollar-Scheine hängt an der Decke. Wir nageln noch einen dazu. Unsere
Widmung: „California kicks Ass. Stefan and Tobi 1996“.
Komisch: So viele Reißzwecken an der Decke, aber nur wenige Dollars! Jede Wette,
dass die das Ding wieder runternehmen, sobald wir weg sind! - Jedenfalls muss ich
natürlich gleich wieder motzen, weil Tobi so einen blöden Spruch geschrieben hat. Re-
tourkutsche: „Dir wäre selber auch nichts Besseres eingefallen.“ - Recht hat er.
Die Bar ist auch sonst beeindruckend. Der Barmann trägt seit einem Motorradunfall eine
Rippe im Unterkiefer und ernährt sich seither nur noch flüssig (völlig freiwillig, versteht
sich). Die kugelrunde Barfrau an seiner Seite hat sich dafür allem Anschein nach auf feste
Nahrung spezialisiert.
Zwei Burritos und einen eisgekühlten Pitcher Bier später haben wir dann auch einen net-
ten Schlafplatz für die Nacht: Henry, der neben uns an der Bar sitzt, hat zwei Zelte in seiner
Garage (hundert Meter die Straße hinunter), die er gerne für uns aufstellt, wenn wir uns
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