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Jeden Moment rechne ich damit, dass mein Hinterrad auf einer der Abfahrten endgültig
den Geist aufgibt und ich die letzten zwanzig Meter meines Lebens im Flug zurücklege.
Irgendwas auf dieser Reise muss mich unheimlich verweichlicht haben: Für die Zeit
nach meiner Rückkehr habe ich mir jedenfalls geschworen, nur noch mit dem Auto
zu fahren und in den Pausen dazwischen mit Mikrowellen-Popcorn vor dem Fernse-
her zu sitzen …
Um die Zeit bis zur Heimkehr zu überbrücken, habe ich mir außerdem noch eine
kleine Paranoia zugelegt, mit der ich bis dahin herumspinnen kann: Ich habe Angst,
unsere Reise nicht beenden zu können - entweder durch einen persönlichen Fehler
oder durch einen dieser verrückten Autofahrer. Immerhin mal was Neues. Gut mög-
lich, dass das eine Spätfolge des Zwischenfalls in Idaho ist, als ein vorbeifahrender
Autofahrer versucht hat, mich mit seiner Wagentür zu erlegen. Ich fühle mich wie in
dem Kultfilm „Easy Rider“, wo die Helden kurz vor Ende plötzlich von irgendeinem
Fanatiker von der Straße geballert werden. Der Mut zum Risiko ist jedenfalls deut-
lich gesunken, jetzt, wo wir schon so weit gekommen sind.
Die heutigen 126 Kilometer sind von der mühsamen Art: Wir lechzen so sehr danach,
endlich zum Pazifik zu kommen, dass wir um uns herum gar nichts mehr wahrnehmen.
Oder gibt es hier am Ende nichts zu sehen? Kleinere Städte wechseln sich ab mit größeren
Baustellen … - aber San Francisco scheint während der ganzen Zeit einfach nicht näher zu
kommen. Zum Ausgleich ignorieren wir die Gegenwart und hängen stattdessen allen mög-
lichen Zukunftsphantasien nach.
Zu allem Überfluss brät uns auch noch die Sonne kräftig eins über. Ein letzter Meilen-
stein (die 6000 Kilometer sind jetzt immerhin voll und 7000 werden es bestimmt nicht
mehr werden) geht in dieser Atmosphäre fast unter. Wenn man dann am Abend trotz einer
anständigen Leistung kein Quartier findet, wird man auf einmal wieder auf den harten Bo-
den der Realität zurückgeholt. Da hilft nur die große Sehnsucht nach dem Pazifik und der
unvorstellbare Gedanke, dass wir in einer guten Woche in Frisco sind.
In High River Mills schnorren wir einen Methodistenpfarrer um einen Schlafplatz im
Keller seines Gotteshauses an. Doch der sitzt gerade schwer beschäftigt vor seinem Com-
puter (ob er Tetris spielt oder die Kollekte des letzten Monats zusammenrechnet, können
wir leider nicht erkennen) und vertröstet uns auf später („Call me in two hours!“).
Wir vertreiben uns die Zeit mit Abendessen in einer Pizzeria, speisen fürstlich, spielen
Flipper und sehen uns das 800-Meter-Herren-Finale in Atlanta an. Langsam wird es dunkel.
Bloß, der Pfarrer ist nicht zu erreichen! (Sind alle Kirchenmänner in Kalifornien so unzu-
verlässig?)
Nachdem der örtliche Methodistenpfarrer sich als Niete herausgestellt hat, finden
wir schließlich Zuflucht in einer Volksschule. Die Feuertür zum Schultheater stand
einfach offen. So ein Pech aber auch; Tobi konnte wieder einmal nicht widerstehen …
Der Pfarrer hätte uns sicher sowieso hier untergebracht!
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