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eine Fahrrad-Trinkflasche mit dem Werbetext der örtlichen Drogenbekämpfungsabteilung
in die Hand. („Die werdet ihr noch brauchen, Jungs!“)
Gleich neben dem Lokal befindet sich ein altmodischer Frisiersalon. Praktisch: Man
kann sogar direkt vom Lokal in den Laden gehen! Ein Haarschnitt kostet sechs Dollar.
- Hmm, wenn wir morgen schon in die Wüste müssen, dann doch wenigstens ohne wüste
Haare. Während Stefan seine vierte Nachspeise in sich hineinstopft, liefere ich mich also
nebenan ans Messer. - Noch bevor ich sagen kann: „Machen Sie's nett und kurz!“, ist der
alte Herr schon wieder fertig: „Six Dollars!“ - „Äh, eigentlich wollte ich meine Haare
kurz, nicht den Haarschnitt! Sie können sich ruhig ein bisschen Zeit lassen. Geht's nicht
noch ein bisschen kürzer?!“ - „Was?! Noch kürzer? Gut, Sie können sich gerne noch mal
hinsetzen. Aber das kostet dann noch mal sechs Dollar.“ - „Aha. Na ja, so gesehen ist die-
ser Haarschnitt doch ganz nett … “
Wozu soll man eigentlich 1-800-BIGTITS anrufen, wenn man stattdessen auch gra-
tis mit seiner Kreditkartenfirma plaudern kann? Während Tobi mit dem Friseur dis-
kutiert, greife ich also noch mal zum Telefonhörer.
Als plötzlich ein Mann den Standard-Begrüßungstext herunterbetet, komme ich
mir beinahe vor wie falsch verbunden. „Könnte ich bitte mit Cynthia sprechen?“ flöte
ich mit samtener Stimme in den Hörer. „Cynthia“ - das ist die zuvorkommende Da-
me, die sich vorhin mit unglaublicher Engelsgeduld von mir beschimpfen ließ: Damit
ich nicht erst einen weiteren Telefonisten in mein Problem einschulen muss, hatte ich
sie am Ende unseres letzten Gesprächs nach ihrem Namen gefragt. - Nun fühle ich
mich langsam wie ihr geheimer Verehrer.
Cynthia kennt mein Problem inzwischen ganz gut und erweist sich auf einmal als
erstaunlich hilfsbereit. Nachdem ich ihr meinen genauen Standort klargemacht ha-
be (nicht Vail, Colorado, sondern Vale, Oregon), zieht sie völlig unbürokratisch ih-
ren Rand McNally Atlas unterm Schreibtisch hervor und geht mit mir unsere Strecke
durch. Und die steht für die nächsten Tage fest: Schließlich gibt es in dieser Gegend
überhaupt nur noch eine Straße (Highway 20), die wir nehmen können.
Am Ende der Route liegt ein Ort, der uns beiden zusagt (er liegt sogar noch in Ore-
gon) und der unserem Vorhaben auch angemessen erscheint: Lakeview. Hier müssen
wir in zwei oder drei Tagen einfach durch. - Ich bin begeistert! Was für eine Frau …
Bei einem kleinen Verdauungsspaziergang entdecken wir die Redaktion der örtlichen
Zeitung und versuchen, unsere Geschichte gegen einen Schlafplatz einzutauschen. - Das
Ergebnis ist selbst für unsere Verhältnisse unfassbar: Das örtliche „Ministry Board“ (ir-
gendein Kirchenverband, den die Zeitungstante für uns anruft) lädt uns zu einer Nacht im
Motel ein! Noch bevor wir überhaupt einchecken können, kommt eine junge Frau ange-
fahren, bezahlt an der Rezeption unsere Zimmer, wünscht uns einen schönen Tag und ver-
schwindet wieder. Jeder von uns bekommt ein eigenes Zimmer mit Klimaanlage, Minibar
und Satelliten-TV. Wir rechnen die ganze Nacht damit, dass plötzlich ein Pfarrer an die
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