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Zu unserem Glück ist der Mini-Tornado jedoch eher entscheidungsschwach: Als er nach
einigen Minuten Beobachtung weder Wachstums- noch Beschleunigungstendenzen zeigt,
lassen wir ihn kurzerhand links liegen und suchen so schnell wie möglich das Weite. - Spä-
ter werden wir dann erfahren, dass das Gelände abseits der Straße Testgebiet des Energie-
ministeriums ist. Was die hier wohl für seltsame Versuche anstellen?
Als ich in Howe bemerke, dass meine Kreditkarte verschwunden ist, haben wir im-
merhin schon 67 Meilen zurückgelegt. Der Appetit aufs Abendessen vergeht mir al-
lerdings vorerst; die Formalitäten (Karte vergeblich suchen und dann sperren lassen)
dauern über eine halbe Stunde. Wegen meiner Sagebrush-Allergie läuft mir die ganze
Zeit über die Nase.
Mit Arco als Tagesziel wird das verdammt knapp werden!
Als wir weiterfahren, geht es schon auf acht zu. Wir treten wie die Wahnsinnigen, kämp-
fen gegen den starken Wind an. Es ist eine Tortur. Wenn wir anhalten, eine Pause machen,
die müden Beine ausschütteln, ist es dunkel, bevor wir in Arco sind. Und andere Städte gibt
es bis dahin nicht mehr. Auf der sandigen, staubigen, teilweise nicht einmal asphaltierten
Straße liegt jede halbe Meile eine überfahrene Schlange. Übernachtung im Freien scheidet
heute also aus.
Wir erweisen uns als hart. Wieder einmal.
Ich habe aufgehört, darüber nachzudenken, wo wir heute übernachten werden. Der Wind
hat mich zermürbt, scheinbar sämtliche Windungen meines Hirns glatt geblasen - ein
stumpfer, müder Tretroboter. Kurz bevor ich in bodenlose Lethargie stürze, passiert mit
Stefan irgendetwas, das ich mir noch Monate nach unserer Reise nicht befriedigend erklä-
ren kann: Mit einer Kraft, die mir in unserem Zustand völlig unwirklich vorkommt, zieht er
plötzlich kommentarlos an mir vorbei. Selbst in seinem Windschatten habe ich Mühe, das
Tempo zu halten. Ich kann einfach nicht glauben, dass er auf mich warten würde, wenn ich
einfach schlappmache, und rede mir deshalb ein, dass ich keine andere Wahl habe, als an
ihm dranzubleiben. Tatsächlich „zieht“ mich Stefan wie an einer unsichtbaren Schnur in
einem Gewaltakt die letzten 24 Meilen bis Einbruch der Dunkelheit nach Arco.
Im letzten Tageslicht rollen wir in die Stadt. Arco feiert gerade 50 Jahre Atomifizierung
(der Welt allererstes Kaff mit Atomstrom, schau, schau!). Nach einer anfänglich missglück-
ten Herbergssuche gewährt uns schließlich ein Baptistenpfarrer Unterschlupf im Turnsaal
seiner Kirche (es gibt eben noch so viel über die praktische Umsetzung von Glauben und
Religion zu lernen).
Auf der Suche nach einem ordentlichen Abendessen laufen wir die ganze Stadt ab.
Aufgebohrte, röhrende Achtzylinder-Fords machen mit ihren halbwüchsigen Insassen jede
Straßenüberquerung zum Abenteuer. Drinnen, in den Lokalen und Bars, verstecken sich
jung gebliebene Greise unter Cowboyhüten.
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