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diglich auf einem blöden Rechenspiel: Es ist der 50. Tag unserer Tour. Stefans Tachometer
zeigt 2915 Meilen seit Boston. Und nach all den fetten und faulen Tagen wollen wir die
3000 unbedingt noch voll kriegen, um damit unseren stolzen 60-Meilen-Schnitt wieder ein-
zuholen.
Unsere Mittagspause verbringen wir an einem Ort mit dem klingenden Namen Food City.
- Am Ortsausgang erwartet uns eine willkommene Abwechslung: Auf einem alten Flug-
feld veranstalten ein paar Locals mit ihren auffrisierten Autos Wettrennen. Gerade gibt ei-
ner seiner Corvette mit qualmenden Reifen die Sporen und peitscht den Hecktriebler mit
heulendem Motor durch den Slalomkurs. Zwischen ein paar undefinierbaren Eigenkreatio-
nen steht auch eines jener alten Dodge-Polizeiautos, wie sie früher mit Vorliebe in Bud-
Spencer-Filmen bei Verfolgungsjagden zerstört wurden.
Vielleicht, wenn wir ganz lieb fragen, vielleicht dürfen wir dann … - Wir dürfen. Zwar
nicht selber, aber wenigstens als Beifahrer mit Sturzhelm und festgezurrt wie einst bei Mut-
tern im Kinderwagen.
Das ist allerdings auch Kick genug. Ich entscheide mich für den Corvette-Fahrer, der
mein Vertrauen in seine Fahrkünste gleich mit einem „Burnout“ (durchdrehende Reifen
bei stehendem Auto) auf die Probe stellt. Auf dem Parcours bin ich allerdings angenehm
überrascht. Die Corvette zieht selbst bei abenteuerlicher Schräglage wie auf Schienen um
die Kurve. Einzig bei der Wende am unteren Ende des Flugfelds wandert auf einmal das
Heck an der Beifahrertür vorbei.
Als ich mich nach 43,56 Sekunden einigermaßen sprachlos aus dem Sportsitz schäle, ist
Stefan weg. Ein County-Sheriff drückt mir grinsend seinen Radhelm in die Hand und deu-
tet auf die Rennstrecke. Dort schlingert gerade die Polizeikarre mit Blaulicht, blinkenden
Scheinwerfern und Sirene über die Piste - am Lenkrad ein Cop, daneben eine Gestalt, die
ich an ihrem Radtrikot wieder erkenne. Natürlich! Es musste ja das Polizeiauto sein. Wie
ein Ozeandampfer in höchster Seenot windet sich der 70er-Jahre-Dodge heulend an den
Gummihütchen vorbei. Dass man ein altes Auto überhaupt so quälen darf! Aber der Bur-
sche am Lenkrad hat offenbar Klasse. Die Wende meistert er mit beinahe stehenden Vor-
derrädern, wirft nur das qualmende Heck herum und passiert die Messstelle bei 44,22 Se-
kunden. Hut ab!
County-Sheriff Bob, nachdem er den Zündschlüssel abgezogen und zum Fenster
rausgespuckt hat: „Ich kenne diesen Wagen besser als meine Frau. Wenn ich bei die-
sem Baby Gas gebe, dann weiß ich immer genau, wann und wie heftig sie kommt … “
Wir steigen wieder auf unsere eigenen heißen Öfen um. Es ist doch etwas ganz anderes,
wenn man selber am Steuer sitzt.
Wenige Meilen hinter der Stadtgrenze verfolgt uns auf der linken Straßenseite auf einmal
ein Sandsturm. - Was sollen wir bloß tun? Fliehen? Uns ergeben? Oder uns einfach irgend-
wo unterstellen? - Verdammt: Das Ding sieht wirklich aus wie einer dieser bösen Tornados
aus dem Film „Twister“! Kühe fliegen allerdings noch keine herum.
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