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sen, das hatten die meisten nicht ge-
wollt.
Eine Schande für Frankreich, dachte
eine übergroße Mehrheit, die nun auf
die Straßen ging, die protestierte, die
schließlich auch Chirac mit mehr als
80 % in seine zweite Amtszeit wählte.
Doch ein Tabu war verletzt: Ein noto-
rischer Ausländerfeind, ein Demagoge
vom rechten Rand hatte an die Tür des
Elysée-Palastes geklopft. Und das hat-
te er, unter anderem, den Provenzalen
zu verdanken.
Stimmten landesweit im zweiten
Durchgang rund 18 % für Le Pen, so
fuhr er im Süden vielerorts Ergebnisse
von mehr als 25 % ein. Überraschend
war das alles nicht, denn der Front Na-
tional hat sich längst im Süden eta-
bliert. Das große Thema des Wahl-
kampfs 2002, l'insécurité, die Unsi-
cherheit, verfing hier besonders gut.
Ein diffuses Gefühl des Bedrohtseins
suchte sich seine Ursache und fand sie
in den Fremden, den Anderen, den Ar-
men, jenen nordafrikanischen Einwan-
derern, die in vielen Orten der Proven-
ce und selbst an der Côte d'Azur die
Problemviertel bevölkern.
„Jeder hier“, so schrieb das Magazin
Le Point, „kennt seinen Rentner, der
sich nach halb sieben nicht mehr auf
die Straße traut“, kann Geschichten er-
zählen von einem Onkel, der bedroht
wurde, fürchtet um das Wohl seiner
Familie, hatte selbst schon mal ein ko-
misches Gefühl beim Spazierengehen.
Regt sich auf über den jungen Auslän-
der, der provozierend durch die
Straßen schlendert mit seiner Baseball-
Mütze, der Designer-Kleidung aus-
führt und der jeden Moment stehlen
oder vergewaltigen könnte.
Nichts Neues also? Wahlforscher
und Reporter haben für die Ergebnisse
des Jahres 2002 noch eine andere Er-
klärung: Die starke regionale, zum Teil
sogar lokale Identität. Das Traditions-
bewusstsein der Provenzalen, das für
den Tourismus so gewinnbringend ist.
So hatte der Front National gezielt die
Bräuche und Feste der Region in seine
Wahlkampfstrategie einbezogen.
Funktionäre des Front National stüt-
zen sich auf regionale Mythen und
Vorbilder, sie zitieren Daudet und Mis-
tral, beschwören ihre Provence gegen
ein Europa, das angeblich kulturelle
Unterschiede platt bügelt. Und sie er-
wecken den Eindruck, das Land ver-
komme. Die Provence, wie sie so gern
stilisiert wird, angegriffen von all dem
Neuen, dem Anderen, dem Hässli-
chen. Die Wüste aus Hochhäusern,
Schnellstraßen, Imbissketten, die sich
ausbreitet rund um mittelalterliche
Stadtkerne, das Elend dieser Beton-
viertel, die Gewalt, all diese Dinge, die
man früher nicht kannte.
Natürlich ist das der alte Graben
zwischen Arm und Reich. Aber hier
scheint er mehr als anderswo ein Le-
bensgefühl zu bedrohen, eine Idylle zu
zerstören, die man so gern bewahrt
hätte, eine Idylle auch, in der für Frem-
de kaum noch Platz bleibt.
Nicht leicht zu interpretieren ist die
jüngste Entwicklung: Als Nicolas Sar-
kozy Im Frühjahr 2007 das höchste
Amt Frankreichs eroberte, da war der
Süden eine seiner Hochburgen. Die-
ser Erfolg ging auf Kosten der äußers-
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