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Grasse, Welthauptstadt des Parfums
Es war ein gewisser Jean de Galimard,
der 1747 eine der ersten Parfümerien in
Grasse gründete. Zu dessen Zunft ge-
hörte damals auch die Herstellung von
Handschuhen aus Ziegenleder. Hier ge-
lang Galimard, dem späteren Freund
Goethes, ein erster entscheidender Sieg
des Duftes über den Gestank: der parfu-
mierte Handschuh, dessen strenges Zie-
genaroma durch Blütenduft übertüncht
wurde.
Mit der Zeit kamen immer mehr Duft-
noten hinzu, immer kühnere Mischun-
gen - wer hätte gedacht, dass etwa La-
vendel und Tabak harmonieren? - und
die Nachfrage nach „Parfum“, wie es
jetzt hieß, stieg in ganz Europa.
Grasse erlebte sein goldenes Jahrhun-
dert etwa von 1850 bis 1950. Damals
ernteten Pflückerinnen in guten Jahren
mehr als 5000 Tonnen Rosen- und Jas-
minblätter. Unzählige kleine und große
Fabriken im Grasser Land entzogen den
Blättern ihre duftenden Säfte mittels der
so genannten enfleurage : Per Hand
streuten Arbeiter immer wieder frische
Blütenblätter auf reines Fett, in dem die
Pflanzenteile ihren kostbaren Geruch
hinterließen.
Die traditionelle Herstellungstechnik
ist längst unrentabel geworden, heute
werden die Blüten in riesigen Tanks im
Lösungsmittel Hexan gebadet. Das He-
xan wird in einem zweiten Arbeitsschritt
wieder abgetrennt und übrig bleibt ein
duftender Balsam, das concrète . Das
Endprodukt, die essence absolue , ent-
steht schließlich per Destillation. Ein
wichtiger Bestandteil von Chanel No. 5
ist zum Beispiel der absolue de rose .
Die meisten Düfte heute aber beste-
hen zu weit über 80 % aus synthetischen
Stoffen. Der Calvin-Klein-Dauerbrenner
„CK One“ etwa enthält als einzigen na-
türlichen Duft das Öl der Bergamotte.
Dieses Umsteigen auf chemisch herge-
stellte Duftstoffe ist einer der Faktoren,
die zum Niedergang der Grasser Par-
fumindustrie geführt haben. Ein anderer
Grund ist, dass die Rohware bevorzugt
in Entwicklungsländern gekauft wird, wo
der Lohn für die Pflücker geringer ist.
Trotzdem kann Grasse immer noch
mit Recht als Kapitale der Düfte be-
zeichnet werden, denn die Mehrzahl
der großen Parfumhäuser leistet sich im-
mer noch einen créateur, also einen
Duftkompositeur, aus Grasse. Das
Know-how dazu ist altes Familienwissen,
„einfach eine Nase zu haben“ reicht
nicht, vielmehr muss diese jahrelang ge-
schult werden. Die Zweigstellen der
großen Häuser in Grasse bieten aber
mittlerweile auch für Laien „Riech- und
Duftseminare“ an.
Ein Großteil des Umsatzes der Par-
fumindustrie, auch in Grasse, wird heute
durch Zusatzstoffe für Putz- und Lebens-
mittel erwirtschaftet. Die alten Grasser
Traditionsfabriken Fragonard, Molinard
und Galimard leben heute vorrangig
vom Tourismus. Sie erklären in den alten
Hallen, wie man früher produziert hat
und unterhalten kleine (kostenlose) Aus-
stellungen, an deren Ende prall gefüllte
Verkaufsräume auf die Besucher warten.
Der Regisseur Tom Tykwer verfilmte
2006 Süskinds „Das Parfum“. Vielleicht
bringt das für Grasse einen weiteren
kleinen Aufschwung.
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