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ganze Welt neu - l'univers de Giono,
wie die Franzosen sagen.
Doch zurück zum Verlies in Mar-
seille. Man schrieb das Jahr 1945, und
Giono war verurteilt worden als Kolla-
borateur, als einer jener Intellektuellen,
die mit den deutschen Besatzern zu-
sammengearbeitet hatten. Giono also
ein politischer Autor? Während des
Krieges hatte die Presse des Vichy-Re-
gimes in der Tat Texte Gionos veröf-
fentlicht - aber nicht mit seinem Ein-
verständnis, schon gar nicht auf seine
Initiative hin. Doch danach fragte in
den Tagen der intellektuellen Säube-
rung niemand so genau. Ein halbes
Jahr saß Giono ein, drei Jahre hatte er
Publikationsverbot. Eine Episode, ge-
wiss, und dennoch markanter Ein-
schnitt in diesem Leben, das äußerlich
in so geregelter Bahn begonnen hatte.
1895 kam Giono in Manosque zur
Welt, Sohn eines italienischen Schuh-
machers und einer Büglerin aus Paris.
Ein paar Denkwürdigkeiten aus der Ju-
gend erfahren wir: dass der Vater be-
lesen war und ein Freigeist, die Mutter
dagegen tief katholisch, dass der Jun-
ge nach der Erstkommunion definitiv
vom Glauben abfiel, dass er ein be-
gabter Geschichtenerzähler war, sich
für Homer und Vergil begeisterte und
stolz war auf seine italienischen Ah-
nen, schließlich, dass ihn die Krankheit
des Vaters aus der Schule in eine
Banklehre zwang. Dass dieser Jean
Giono nun bis nahe an sein 35. Le-
bensjahr hinter dem Bankschalter ste-
hen sollte, man mag es nicht glauben.
Eher schon, dass der Lehrling, mit der
Karteiführung betraut, sein eigenes
Kundenverzeichnis anlegte, bereichert
um Lebensdaten, Profile und manche
Skurrilitäten - ein Fundus, aus dem
später der Schriftsteller schöpfte.
Den Absprung ins Autoren-Dasein
wagte Giono 1929, dem Jahr, als sich
nach ersten Veröffentlichungen mit
„Colline“ der Erfolg einstellte. „Der
Hügel“ bildet den Auftakt der Pan-Tri-
logie, in der Giono die karge Welt der
Hochprovence-Bauern schildert, ihre
tiefe Verbundenheit mit einer Natur,
die beseelt ist vom Geist des antiken
Hirtengottes. Der Aberglaube dieser
in ihrem Boden verwurzelten Men-
schen ist nur Oberfläche eines tiefe-
ren, magischen Wissens um die Ge-
heimnisse der bald idyllischen, bald
abgründig gefährlichen, entfesselten
Natur.
„Es gibt wohl eine ,klassische' Pro-
vence“, schrieb Giono, „ich habe sie
nie gesehen; seit 30 Jahren wohne ich
in Manosque. Ich kenne nur ein wildes
Land. Die Naturgesetze, die Form, Far-
be, Charakter seiner Landschaft be-
stimmen, bestimmen auch den Cha-
rakter ihrer Bewohner.“ Die Provence
Gionos, das ist das raue Hochland
vom Plateau de Valensole bis hinauf in
die Montagne de Lure, das sind herbe
Landschaften voller Weite und Größe,
das sind Menschen, die als Teil dieser
mythologischen Schöpfung leben - ei-
ne „kosmische Einheit“.
Manche werfen Giono vor, er habe
dieses Land gar nicht wirklich gekannt
oder es jedenfalls nicht wahrheitsge-
treu beschrieben. Das trifft zu, will
man seine Literatur als Reiseführer nut-
zen. Gionos Provence ist eine fiktive
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