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gesamten Produktionsprozess und or-
ganisierte ihn, wie Jean Renoir be-
merkte, ganz im Stile eines mittelalter-
lichen Handwerkerbetriebes. Er
schrieb die Texte, wählte die Schau-
spieler aus, führte Regie, drehte mit ei-
genen Kameras in eigenen Studios vor
Kulissen, die seine Werkstätten gebaut
hatten, entwickelte in eigenen Labors,
schnitt an eigenen Geräten, um den
fertigen Film dann in sein Verteilernetz
einzuspeisen, ihn sogar in eigenen Ki-
nos aufzuführen. Ein einmaliger Vor-
gang in der Geschichte des französi-
schen Films.
Frei in allen Entschlüssen, fand Pa-
gnol auch zu seinem Stoff. Er ent-
deckte seine Heimat neu, dieses un-
vergleichbare Licht der Provence, das
wilde Bergland seiner Kindheit, die
Mythen und Sagen. Und Jean Giono,
den Poeten der Provence. „Das Uni-
verselle erlebt man nur, wenn man
beim Alltäglichen bleibt“, war Pagnol
überzeugt. Gionos Erzählungen von
einer mystischen Provence, deren
Menschen sich an die einfachen, ech-
ten Reichtümer halten, wurden zur
Vorlage mehrerer Filme: „Jofroi“ über
einen alten, verschrobenen Bauern,
„Angèle“, nach dem „Berg der Stum-
men“, eine poetische Liebesgeschich-
te, „Régain“, Epos über das Sterben ei-
nes Bergdorfes.
Der verklärende Blick auf das All-
tägliche verlieh den Filmen ihre Atmo-
sphäre. „Es gibt keine Kunst außerhalb
der gewöhnlichen Stoffe. Was uns
bleibt, ist alles neu zu sehen“, so Pag-
nol, dem oft eine besondere Bega-
bung zum Glück nachgesagt wurde.
Pagnol, der die Menschen liebte. Pa-
gnol, der Charmeur, der fünf Kinder
hatte - mit vier Frauen. Die Leichtig-
keit, das Sonnige und Einfache seines
Charakters und seiner Heimat spiegel-
ten sich in seinen Werken. Wer einen
seiner Filme gesehen hatte, der war
glücklich.
Dreharbeiten gestalteten sich als
Landpartie unter Freunden. „Wir bra-
chen zu den Hügeln auf“, erinnert sich
Pagnol an „Régain“, „in drei Autos und
dem Trosswagen, der einen großen
Kochherd, Stühle, Essgeschirr, eine
ganze Sippe von Kochtöpfen, einen
Bratspieß und den dicken Léon trans-
portierte; Letzterer kam mit, um seine
Küche einzurichten“.
Als erster Filmemacher wurde Mar-
cel Pagnol 1946 in die Académie
Française aufgenommen. Roberto
Rossellini, der Schöpfer des italieni-
schen Neorealismus, nannte Pagnol
sein Vorbild, ebenso Claude Chabrol
und François Truffaut, die Regisseure
der Nouvelle Vague.
Und doch begegnen die französi-
schen Intellektuellen dem Namen Pag-
nol bis heute mit einer gewissen He-
rablassung, vor allem dem Dramatiker
Pagnol. Er, der humanistisch Gebilde-
te, der junge Autor klassischer Vers-
dramen, Übersetzer Vergils und
Shakespeares, hatte sich schon früh
entschieden, kein „Bücherschrankthe-
ater“ zu schreiben, für ihn „der Höhe-
punkt alles Trostlosen“. „Was Pagnol
zu einem bedeutenden Dramatiker
macht“, so bemerkte ein Freund, „ist,
dass er eher das Publikum repräsen-
tiert als die Zunft der Autoren.“ „Ma-
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